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> DIE FREUDLOSE GASSE
Drama. Deutschland 1925
Alternativer Titel
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Regie G.W. Pabst
Drehbuch Willy Haas nach dem Roman von Hugo Bettauer
Produktion Sofar-Film-Produktion Berlin
Kamera Robert Lach, Curt Oertel, Guido Seeber
Schnitt Anatole Litvak, Marc Sorkin
Darsteller Greta Garbo, Asta Nielsen, Valeska Gert, Werner Krauss, Einar
Hanson, Karl Ettlinger
Länge 149 Min. (restaurierte Fassung)
Kinostart 18.5.1925 (Uraufführung Berlin)
Humor | Spannung | Action | Gefühl | Anspruch | Erotik |
. | . |
©
Text Marco, molodezhnaja 10.11.09
© Bilder Edition Filmmuseum,
Screenshots molodezhnaja
STORY
Ein Wiener Armenbezirk im Jahr 1921: Die Melchiorgasse ist geprägt vom sozialen
Elend der Inflationszeit. Meistens gibts Kohl und günstiges Essen. Und wer doch
mal etwas Fleisch will, muss die ganze Nacht beim Metzger Josef Geiringer
(Werner Krauss) anstehen, dem "Tyrann der Melchiorgasse" der immerzu mit seiner
riesigen weissen Dogge unterwegs ist und Frauen gegen sexuelle Gefälligkeiten
zuvorkommend bedient. Auch die Schneiderin
Frau Greifer (Valeska Gert) hat sich mit den Zuständen arrangiert: Sie betreibt
einen Modesalon mit anschliessendem Nachtclub und Freudenhaus. Dort treffen sich
die Reichen Wiens und vergnügen sich mit Mädchen aus der Unterschicht. So auch
mit Maria Lechner (Asta Nielsen), die Geld für ihren Geliebten braucht, und
Grete (Greta Garbo), Tochter des verarmten Hofrat Rumfort (Jaro Fürth),
die ihre Familie mit dem erwirtschafteten Geld über die Runden bringen will.
REVIEW
Hier arm, dort reich. Hier die
Millionäre und Spekulanten mit ihrer Gier nach Geld und Sex. Dort die
Hungerleidenden und Inflationsgeschädigten mit ihrem Durchhaltewillen und ihrer
Aufopferung. G.W. Pabst ist vielleicht kein linker Filmemacher, doch sein
drittes Werk "Die freudlose Gasse" macht klar, wo seine Sympathien stehen. Und
damit es die Zuschauer auch nachvollziehen können, kontrastiert er arm und reich
in beinahe jedem Szenenschnitt. Eine Dialektik irgendwo zwischen dem früher aktiven Griffith und
später prominenten Eisenstein - vielleicht noch etwas plakativer als bei jenen
beiden, aber dem Film durchaus dienlich.
Denn "Die freudlose Gasse" ist letztendlich ein Melodrama für die Massen, kein Kunstfilm oder revolutionäres Filmprojekt. Pabst inszenierte es mit einem geringen Budget, holte aber das Maximum daraus heraus - und das Publikum dankte es ihm. Pabst wurde zum neuen Star-Regisseur der Weimarer Republik und nicht nur das: Ihm wurde die Ehre zuteil, die in anderen Kunstrichtungen bereits etablierte "Neue Sachlichkeit" auf die Leinwände zu führen, denn obwohl "Die freudlose Gasse" auch Elemente des Expressionismus' und des populären Strassenfilms vereint, so ist er doch geprägt von einem verlangen nach Realismus.
Dabei ist Pabst nicht am peniblen Abbilden interessiert, das Anliegen der späteren Neorealisten ist demnach nicht seines - das zeigt schon der Umstand, das keine Szene an einem Originalschauplatz entstand, sondern alles komplett im Berliner Studio. Aber er versucht, den Alltag der Bürger auf der Strasse glaubhaft abzubilden, basierend auch auf seinen eigenen Erlebnissen im Zwischenkriegs-Wien, in dem die galoppierende Inflation für Elend sorgte. Handlungsvorlage war jedoch der gleichnamige Fortsetzungsroman des Wiener Schriftstellers Hugo Bettauer, dessen visionär-satirischer "Stadt ohne Juden" ein Jahr zuvor verfilmt wurde. Bettauer erlebte die Premiere nicht mehr: Er wurde am 10. März 1925 von einem NSDAP-nahen Agitator erschossen.
Wenn er den Film gesehen hätte, wäre Bettauer wohl auch verwundert über die vielen Änderungen gewesen, die Pabst vorgenommen hat. So hat er den Stoff stark entschärft und ihm ein Happy End oder wenigstens eine hoffnungsvolle Note aufgedrückt. Etwas, was dem Film bei der zeitgenössischen Kritik einige Prügel einbrachte. Doch nicht die Filmkritiker waren der ärgste Feind von "Die freudlose Gasse": Diese Aufgabe übernahmen die Zensoren. In England wurde der Film glatt verboten. In anderen Ländern arg verstümmelt. Vom ursprünglichen Werk blieb nur eine Rumpffassung übrig, teilweise von Lauflängen um die 90 Minuten, aus denen etwa die Asta-Nielsen-Story so gut wie verschwand, um den Film ganz auf Greta Garbo zu münzen.
Erst 1997 montierte das Münchner Filmmuseum aus allen möglichen überlebenden Kopien sowie vorhandenen Zwischentiteln, Drehbuchfassungen und Illustrationen eine beinahe integrale Version von gut zweieinhalb Stunden Länge. Das ist denn auch die Fassung, die mir vorlag und die ich besprechen kann. Denn eine Frage ist endlich zu klären: Ist "Die freudlose Gasse" auch gut? Dass er wichtig ist, steht ausser Frage, schliesslich machte er Pabst, der 1923 mit Der Schatz debütierte, weltweit berühmt. Ebenso machte er Greta Garbo zum Star. Und stellte die Neue Sachlichkeit dem Kinopublikum vor.
Nur zum Meisterwerk reicht das noch nicht. Das Drama grenzt bisweilen an ein schwülstiges Melodrama, etliche Darsteller agieren theatralisch und die fragmentarisch erzählte Story entwickelt nur selten echten Drive - da war Pabst bei seinem späteren Film Die Liebe der Jeanne Ney konzentrierter am Werk. Doch das Schlimmste ist, dass sich die Zuneigung für die Figuren in Grenzen hält. Zwar sieht man ihr Leid und bangt mit, doch die Stilisierung blockiert Sympathien und die oft überzeichneten Darbietungen degradieren viele Charaktere zu Karikaturen. Der Vorteil dessen: Der Film funktioniert besser als Allegorie, als exemplarisches Zeitbild aus der Ära der grassierenden Inflation, welche den Fall der Weimarer Republik beschleunigte. Doch als mitreissendes Drama bleibt er Mittelmass.
Stark ist er indes als Einblick in eine Zeit des Niedergangs und der sozialen Spaltung. Und als cineastisches Schmankerl. Denn es gibt vieles zu mögen: Etwa die Bildsprache der drei Kameramänner, angeführt vom Ästheten Guido Seeber, denen einige eindrückliche Aufnahmen gelingen. Oder der selten subtile, aber stets eindrückliche Schnitt, etwa zwischen der Melchiorgasse und dem Hotel Carlton. Und letztendlich überzeugen die Schauspieler - allen voran Greta Garbo. Sie fiel ein Jahr zuvor im schwedischen "The Atonement of Gosta Berling" auf, doch hiermit schaffte sie jenen Durchbruch, der ihr die Karriere in Hollywood ermöglichte.
Der Glamour-Star ist denn auch hier schon sichtbar, selbst im Armenkleid. Die "Göttliche" setzt etwa ihre Augen bereits vorzüglich ein und macht ihren Blick zum Kunstwerk. Dagegen wirkt die Dänin Asta Nielsen eher wie ein Star aus vergangenen Tagen. Sie beeindruckt, aber wirkt mit 44 Jahren als Mädchen etwas zu alt. Das Publikum goutierte sie denn auch nicht mehr wie früher und sie zog sich bald darauf mit dem Aufkommen des Tonfilms aus dem Gewerbe zurück. Erwähnenswert auch Valeska Gert als dritte Frau im Bunde. Und Werner Krauss, der einmal mehr ein wunderbares Ekelpaket abgibt.
Dieses Ensemble täuscht über die paar Längen von "Die freudlose Gasse" hinweg. Auch die tadellose technische Umsetzung kaschiert das eine oder andere Defizit. Doch ich bleibe dennoch beim Fazit: Der Film ist grösser in seinem Status als in seiner Qualität. Er verdient Beachtung, keine Frage, seine Entstehungsgeschichte ist hochspannend, er brachte der Welt die Garbo und Pabst den Star-Regisseur. Und er zeigte den Zuschauern, welches Elend die Inflation mit sich zog: "Man kann hier keine Türe öffnen, ohne dass einem das nackte Elend entgegenstarrt" heisst es resignierend kurz vor Schluss. Doch Pabst hat später Besseres gedreht, seine technischen Fähigkeiten entwickelten sich noch weiter. Das alles ändert freilich nichts daran, dass man das Werk gesehen haben sollte, als Stummfilmfan und Cineast sowieso. Wer will, der kann sich dabei sogar unterhalten.
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EXTERNE REVIEWS
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