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> TABU: A STORY OF THE SOUTH SEAS
Liebesdrama. USA 1931
Alternativer Titel
Taboo; Tabu; Tabou
Regie Friedrich Wilhelm Murnau
Drehbuch Friedrich Wilhelm Murnau, Robert J. Flaherty
Produktion Friedrich Wilhelm Murnau, Robert J. Flaherty
Musik Hugo Riesenfeld
Kamera Floyd Crosby, Robert J. Flaherty
Darsteller Matahi, Reri, Jean, Hitu, Jules, Ah Kong, Ah Fong
Länge 81 Min.
Humor | Spannung | Action | Gefühl | Anspruch | Erotik |
© Text Marco,
molodezhnaja 14.7.09
© Bilder Eureka!,
Screenshots molodezhnaja
STORY
Auf der polynesischen Insel Bora-Bora verliebt sich die junge Reri (Reri) in den Fischer
Matahi (Matahi). Doch ihr Glück ist von kurzer Dauer: Der alte Hitu (Hitu), der
Bote des Königs, macht dem Eiland seine Aufwartung und erklärt, dass eine neue
Jungfrau für die Götter bestimmt werden müsse. Die Wahl fällt auf Reri. Sie wird
in einer Zeremonie den Göttern versprochen, kein Sterblicher darf sie daher
je wieder anfassen. Der todunglückliche Matahi beschliesst, den Willen der
Oberen zu
ignorieren, und flieht mit Reri auf eine von Weissen bewohnte Nachbarinsel, in
der er als Perlentaucher arbeitet.
REVIEW
81 Minuten kurz, aber voll mit Legenden, Hintergründen
und filmhistorischen Schmankerln: Das ist "Tabu", der letzte Film des grossen
Friedrich Wilhelm Murnau. Eine Woche vor der Premiere kam der Regisseur in
Kalifornien bei einem Autounfall ums Leben und hinterliess uns damit sein
letztes Werk. Sicher nicht sein typischstes, aber eines, das dem Schaffen des
gefeierten Filmemachers mehr als würdig ist. Dabei war die Entstehungsgeschichte
holpriger als bei den meisten anderen Murnau-Produktionen. Sie geht zurück ins
Jahr 1929, als Murnau bereits genug hatte von Hollywood. Dank seines
Meisterwerks "Sunrise" (1927) wurde er noch als Kronjuwel der Paramount-Studios
gefeiert, doch zwei finanzielle Enttäuschungen später war es schon wieder aus mit der
Liebesbeziehung zwischen dem Deutschen und dem amerikanischen Filmmekka.
Murnau kurvte lieber mit seiner Jacht "Bali" nach Tahiti, wo er mit dem Dokumentarfilmer Robert J. Flaherty ("Nanook of the North", 1922) einen Film über die Bewohner Ozeaniens drehen wollte. Das Projekt namens "Turia" kam wegen Budget-Engpässen jedoch ins Stocken, weshalb die beiden das Skript abänderten und "Tabu" initiierten - finanziert mit Murnaus eigenen Ersparnissen. Das erlaubte ihm auch die Kontrolle über das Projekt. Da Flaherty mit seinem auf dokumentarischer Nüchternheit bedachten Stil und keinerlei dramaturgischen Kamera-Erfahrungen sich als wenig brauchbar erwies, holte sich Murnau als Kameramann Floyd Cosby ("High Noon") an Bord, der für diese seine allererste Arbeit prompt einen Oscar holte.
Von Flaherty blieben nur einige Szenen der Ureinwohner am Anfang des Films übrig - der Rest ist Murnau pur. Er orchestrierte die Bewegungen seiner Laiendarsteller wie Tänze und benutzte expressionistische Mittel wie Licht und Schatten (etwa durch Wolken), um dramatische Effekte zu erzielen. Auf Zwischentitel, die das Gesprochene abbilden, verzichtete er, vielmehr wird die Story fast komplett in Bildern erzählt - wie es Murnau in Der letzte Mann (1924) erstmals eindrucksvoll demonstriert hatte. Die eigentliche Story rückt daher oft in den Hintergrund. "Tabu" ist ein eher dünner Film von seinem Inhalt her, aber umso reicher in cineastischer Virtuosität. Und erquickend als Einblick in eine fremde Kultur - das Element, das die so unterschiedlich getakteten Filmer Murnau und Flaherty anfänglich zusammenbrachte.
Angepeitscht von der eindrücklichen Musik Hugo Riesenfelds, mit dem Murnau schon bei "Sunrise" zusammenarbeitete, kommt der Film rasant voran. Vom anfänglich spielerischen Miteinander der Inselbewohner über die Ankunft der grossen Schiffes bis zur Flucht von der Insel. Alles passiert sehr schnell und überaus effektiv. Dabei helfen Murnau auch seine vor Ort gefundenen Akteure, die in der Anfangsphase besonders lebhaft spielen. Reri alias Anne Chevalier ist keine grossartige Schauspielerin, doch selbst sie widersteht den schlimmsten Stummfilm-typischen Übertreibungen. Zudem ist ihre Chemie zum tollen Co-Star Matahi beeindruckend. Wie die beiden verliebt und ungehemmt vom Hollywood'schen Moral-Kodex miteinander umgehen, trägt viel zur Authentizität bei.
Das titelgebende Tabu ist Reris Sexualität - die junge Frau darf nicht mehr angefasst werden, weil die Obrigkeit es so bestimmt hat. Es bietet sich an, dies als Parabel auf religiöse Dogmen weltweit zu deuten, die Gefühle der Menschen missachten und rein den Dienst am Glaubenssystem einfordern. Zudem erscheint Hitu wie das personifizierte Alte, sozusagen ein Todesengel, der in die Welt der Jungen und Unbekümmerten einbricht und Schatten bringt. Ebenfalls als Subtext, vielleicht auch weniger gewollt, fliesst Homosexualität in den Film. Der schwule Murnau castete eine Reihe attraktivster Insel-Jünglinge, die er bewusst oder unbewusst in anregenden Posen ablichtete, welche "Tabu" zu nachhaltiger Beliebtheit unter homosexuellen Filmfans verhalf. Das passt zur sexuell aufgeladenen Atmosphäre der Story und ebenso zum Thema der durch Autorität und Gesellschaft verbotenen Liebe.
"Tabu" verdient sich mit einer bestechenden Optik und einer mitreissenden Inszenierung seinen Platz in der Filmgeschichte. Dass das exotische Liebesdrama zudem einer der letzten wichtigsten Stummfilme und das letzte Werk Friedrich Wilhelm Murnaus ist, steigert seine Wichtigkeit nur noch. Man mag den Inhalt als banaler abtun, als bei manch anderen Murnau-Werken, doch die Metaphern und Hintergründe sind nicht weniger eindrücklich. Das Paradies der ersten Filmhälfte (1. Akt: "Paradise") weicht dem Unheilvollen und Bedrohlichen (2. Akt: "Paradise Lost") - und dem Wissen, dass ein Garten Eden mit Verboten und Zwängen eben kein Paradies ist. Hier ist für einmal nicht der weisse Mann der Feind, sondern die Gesellschaft an sich, die eine Liebe wie jene unserer Helden nicht zulässt. Gegen solche Tabus lohnt es, so der Film, zu kämpfen - auch in einem Südsee-Idyll. Und auch wenn nur ein tragisches Ende möglich ist.
Friedrich Wilhelm Murnau drehte in seinen Schaffensjahren eine ganze Reihe von Meisterwerken, die noch heute wegen ihrer Bildsprache, ihrer Erzählweise oder ihrer brillanten Vision verehrt werden. Ob sein Vampirklassiker "Nosferatu", sein meisterliches Melodrama "Sunrise" oder der rauschhafte Faust, sie alle haben nichts von ihrer Faszination eingebüsst. "Tabu", Murnaus Mix aus bildgewaltiger Poesie und ethnographisch angehauchter Lehrstunde kann sich mühelos in diese Liste einreihen und zeigt auf, wie dramatisch der Verlust für die Filmwelt war, als Murnau an jenem schicksalhaften 11. März 1931 sein Leben aushauchte.
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