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> SENNENTUNTSCHI
Horrormärchen. Schweiz /
Österreich 2010
Alternativer Titel -
Regie
Michael Steiner
Drehbuch Stephanie Japp, Michael Sauter, Michael Steiner
Produktion Simone Häberling, Bruno Seemann
Musik Adrian Frutiger
Kamera Pascal Walder
Schnitt Benjamin Fueter
Darsteller Roxane Mesquida, Nicholas Ofczarek,
Andrea Zogg, Carlos Leal, Joel Basman,
Ueli Jäggi, Rebecca Indermaur, Daniel Rohr, Peter Jaecklin, Leonardo Nigro
Länge 110 Min.
Kinostart 14.10.2010
Humor | Spannung | Action | Gefühl | Anspruch | Erotik |
©
Text Marco, molodezhnaja 23.9.10
© Bilder Constantin,
Screenshots molodezhnaja
STORY
Ein Bergdorf in Graubünden, 1975: Pfarrer Salis (Ueli Jäggi) ist
geschockt - sein Messdiener hat sich das Leben genommen! Kurz nach der
Beerdigung taucht eine verschüchterte und übel zugerichtete junge Frau (Roxane
Mesquida) im Dorf auf. Polizist Sebastian Reusch (Nicholas Ofczarek) nimmt sich
ihrer an und päppelt sie auf. Das wiederum sorgt beim Gemeindepräsident
(Hanspeter Müller) ebenso für Unmut wie bei Salis, der sie für einen Dämon hält.
Derweil taucht auf der Alp des alten Erwin (Andrea Zogg) der Städter Martin
(Carlos Leal) zum Landdienst auf. Schon bald freundet er sich mit Erwin und
dessen Ziehsohn Albert (Joel Basman) an. Bei einem Absinth-Saufgelage erzählt
Erwin die Sage des Sennentuntschi, wonach drei Bauern aus Stroh eine Sexpuppe
gebastelt hätten, die lebendig wurde. Als das geheimnisvolle Mädchen ihnen einen
Besuch abstattet, glauben sie prompt, nun auch ein "Sennentuntschi" zu besitzen.
REVIEW
Die vielen Geschichten hinter "Sennentuntschi" wurden in den
letzten Wochen fast spannender als der
Film selbst. Erst die Vorlage: Eine Sage aus dem Alpenraum, erzählt von Uri bis
ins Tirol, die ebenso schlüpfrig wie verstörend ist - Bergbauern, die sich aus
Stroh eine Sexpuppe basteln. Adaptiert wurde dieser Stoff schon fürs Theater und 1981 fürs
Fernsehen und sorgte für einen handfesten Skandal wegen seiner vermeintlich
rüden Sprache. Dann griff Erfolgsregisseur Michael Steiner ein, der Mann hinter
den Superhits Mein Name ist Eugen und
Grounding. Er kratzte ein grosses Budget von 5
Millionen Franken zusammen und legte los.
Bis das Geld ausging, weil sich Produzenten zurückzogen. Steiners Firma ging pleite. Die Rechtspostille Weltwoche schoss mit ziemlich haarsträubenden Koks- und Betrugsvorwürfen gegen Steiner persönlich. Und als das bereits abgedrehte Projekt drohte für immer im Nichts zu versinken. Dann kam der deutsche Filmverleih Constantin als Retter in der Not dazu. Er übernahm die Schulden, kaufte Steiners Firma und wird nun wohl sogar dafür sorgen, dass das die ach so schweizerische "Sennetuntschi"-Sage auch im Ausland gezeigt wird. Alles super also. Und der Film selbst?
Der ist erstaunlich gut, aber er ist nicht für alle. Denn Steiner drehte ein süffiges, vollmundiges und hin und wieder ins Trashige abgleitendes Gruselmärchen vor Alpenkulisse. Sex, Absinth, Gewalt und Religionskritik - solche schönen Sachen geben den Ton an. Steiner zeigt dabei einmal mehr, dass er primär ein Showman ist und von Subtilität wenig hält. Der Vorspann ähnelt zum Beispiel jenem von "Seven" begleitet von einem Soundtrack à la Danny Elfman. Und später plaziert er die Kamera stets im aufsehenerregendsten Winkel, holt aus Szenen das Maximum an Unterhaltungswerten heraus.
Mir gefällt das, auch darum, weil es so unschweizerisch wirkt. Zwar versuchen auch eidgenössische Künstler immer wieder, etwas zu schocken, zuletzt zu sehen im ziemlich doofen "Räuberinnen" - aber meistens geht das völlig in die Hose, wirkt bieder und verklemmt. Das "Sennentuntschi" läuft manchmal auch Gefahr, in diese Falle zu tappen, doch Steiner kriegt immer rechtzeitig die Kurve. Daher wird sich sein Film auch im Ausland unter Genre-Freunden wohl noch besser machen als hier in der Schweiz. Wann kriegt man schliesslich schon einen dekadenten Märchenschocker im alpinen Dorf- und Bergumfeld? Mit einer so kuriosen Sprache?
Apropos Sprache: Wer viele Schweizer Filme schaut, der kennt das Problem mit der Sprache. Zu oft werden Dialekte unpassend zur Handlungsregion vermischt, zu oft sprechen die Leute gestelzt und überdeutlich artikulierend. Nicht so hier: Die Akteure palavern recht schnoddrig, oft hab ich Satzfetzen nicht einmal verstanden. Besonders bei Carlos Leal, der ja französischsprachig ist, aber auch bei den "Einheimischen". Das nehme ich zugunsten der Authentizität gerne in Kauf. Für die meisten Rollen hat Steiner zudem die richtige Person parat, die diese Glaubwürdigkeit weiter verstärkt.
Nicholas Ofczarek glänzt als etwas naiver Dorfpolizist, Andrea Zogg ist herrlich als schmieriger Bauer, Joel Basman überzeugt als stummer Bub von der Alp. Carlos Leal nimmt man die dunkle Seite nicht unbedingt ab, aber er passt vom Auftreten her bestens ins Jahr 1975. Und die Französin Roxane Mesquida ("À ma sɶur") glänzt mit Sinnlichkeit und animalischer Aggression in der Hauptrolle. Für bekannte Gesichter wie Daniel Rohr oder Leonardo Nigro bleiben da nur noch kleine Nebenrollen.
Letztendlich ist es aber das Gesamtpaket, das überzeugt. Eine aufdringliche, aber stets eindrückliche Optik. Ein lauter, aber immerzu energischer Soundtrack. Talentierte Schauspieler und eine schicke Ausstattung. Ein paar heftige Sexszenen mit frauenfeindlichem Unterton (bedingt durch das Thema des Films). Ebenso heftige Gewaltszenen mit überzeugenden Tricks. Und eine Story, die schön gfürchig und urchig die Sennentuntschi-Geschichte modernisiert, aber dennoch klassisch belässt.
Gerade die Handlung dürfte dem Film jedoch ein Bein stellen, denn sie ist weniger ausgeklügelt, als man denkt. So ist bald klar, auf welche Chronologie das Ganze hinausläuft - und das Skript will uns dies am Ende trotzdem als Überraschung auftischen. Auch die Rahmenhandlung 2010 wirkt unnütz. Daher ist es lohnend, sich eher der Atmosphäre hinzugeben, als die Geschichte exakt zu hinterfragen. Substanz ist hier eh nicht viel dran. Aber dafür um so mehr Unterhaltung. Ich mag den Film. Im Schweizer Kino gibts so etwas einfach viel zu selten. Hab ich das bei "Grounding" auch geschrieben? Dann liegts wohl an Steiner - ein Showman sein ist in der zurückhaltenden Schweiz nicht einfach. Aber meine Unterstützung hat er.
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