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Mysteryromanze. Frankreich 1961
Alternative Titel
Letztes Jahr in Marienbad; Last Year at Marienbad

Regie Alain Resnais
Drehbuch Alain Robbe-Grillet
Produktion Pierre Courau, Raymond Froment
Musik Francis Seyrig
Kamera Sacha Vierny
Schnitt Jasmine Chasney, Henri Colpi
Darsteller Giorgio Albertazzi, Delphine Seyrig, Sacha Pitoëff, Françoise Bertin, Luce Garcia-Ville
Länge 94 Min.

Kinostart 25.6.1961 (F)

    

 

Humor Spannung Action Gefühl Anspruch Erotik
. .

©  Text Marco, molodezhnaja 17.8.09
©  Bilder Criterion, Screenshots molodezhnaja


STORY
Ein Hotel irgendwo in Europa. Barock ausgestattete Räume, lange Gänge, ein akribisch angeordneter Park. Manche Gäste wohnen einem Theater bei, andere Tanzen, wieder andere sind in Gespräche verwickelt. Mittendrin ein Mann (Giorgio Albertazzi), der eine schöne Frau (Delphine Seyrig) verfolgt. Er behauptet, sie beide hätten sich ein Jahr zuvor in Frederiksbad erstmals gesehen. Sie hätten sie verliebt und einander versprochen, dass sie gemeinsam durchbrennen - weg vom Partner (Sacha Pitoëff
) der Frau, der im selben Hotel mit anderen Gästen die zeit totschlägt. Während der Mann ihr immer mehr Details offenlegt, versucht sie immer stärker, ihn abzuschütteln.

 

REVIEW
Es ist ein Running Gag geworden: Ich mag Jean-Luc Godard nicht. Ich bring wenig Enthusiasmus für die Nouvelle Vague auf. Im Büro werd ich gern auf den reduziert, der französische Filme hasst. Ein bisschen Klischees auf eigene Kosten ist ja ganz spassig. Doch eigentlich mag ich viele französische Filme, ob stumm oder gesprochen, ob alt oder neu, ja ich kann sogar dem einen oder anderen Godard-Werk was abgewinnen. Aber generell bleib ich meiner über die Jahre gepflegten Meinung treu, dass die Nouvelle vague zu den überschätztesten Filmentwicklungen der Geschichte gehört. Technisch interessant, für Frankreichs Kino wichtig (und im gleichen Atemzug 40 Jahre lang lähmend) - aber inhaltlich primär die Spielerei einiger Intellektueller und Systemnörgeler.

Spielerei. Intellektueller. Passt auf Alain Resnais und sein "L'année dernière à Marienbad", ein geniales Werk mit grossem "G". Jedes Bild lässt sich hier interpretieren, jede Aussage doppelt oder dreifach hinterfragen. Und alles ergibt zwar irgendwie Sinn, aber existiert in einem Raum voller Referenzen und Unwahrheiten - nicht einmal verankert in der Wahrheit, sondern stets abgehoben in dem Gedankengebilde eines unvertrauenswürdigen Erzählers. Anstrengend? Oh ja. Wirr? Auf jeden Fall. Aber irgendwie faszinierend auf dieselbe Weise, wie ein Mindfuck aus den Händen David Lynchs sein kann. Lynch, Nicolas Roeg, Stanley Kubrick oder Pedro Almodóvar sind alle auf die eine oder andere Art mit diesem einzigartigen Werk verwachsen.

All jene, die die Story als unverständlich abtun, schiessen übers Ziel hinaus. Der Kern der Geschichte ist völlig simpel: Der Mann, der im Drehbuch X heisst, verfolgt die Frau, die im Skript den Namen A trägt. Er behauptet, sie hätten sich vor einem Jahr verliebt. Sie tut, als ob sie sich an nichts mehr erinnern könnte. Wegen ihres Partners, im Drehbuch M? Und da kommen langsam die Fragezeichen ins Spiel. Die Komplexität liegt also nicht in der Story an sich, gerade weil die so verführerisch simpel ist. Es liegt vielmehr an uns, sie auszustaffieren. Der Trailer zum Film besagt schön, wir Zuschauer seien hier die Co-Autoren, weil jeder die Szenen anders deutet, jeder die Einteilung in Lüge und Wahrheit selbst vornimmt.

Am Schluss kann man so viel wie möglich für bare Münze nehmen und die Story als Dreiecksgeschichte anschauen. Oder man geht ins psychologische Feld und entlarvt die Gedanken des Herrn M als Spinnerei. Als Fetisch. Als Wahnsinn. Und wenn man ganz forsch ist, kann man die ganze Szenerie als Albtraum abtun. Oder als Fantasterei in einem Hotel voller Toten - eine Idee, die angesichts der zombiehaften Menschen nicht einmal so abwegig scheint. Hier werden Personen zu Statuen und Ornamenten. Und selbst der Geist von Hitchcock schwebt einmal rechts im Bild (bei der US-DVD bei 11:52), wohl um uns dran zu erinnern, dass wir es hier mit einem Mysteryfilm zu tun haben. Oder mit einer Romanze. Vielleicht doch einem Drama. Und wer will, der kann das Ganze als parodistische Spielerei lesen, Resnais' Veräppelung des Drehbuchs von Alain Robbe-Grillet.

Robbe-Grillet war berühmt für seine auf klassische Dramaturgie verzichtenden Romane und verfasste ein sehr exaktes Drehbuch. Nicht nur die Dialoge waren darin präzise vorgegeben, auch jeder Szenenaufbau, die Kamerabewegungen und der Musikeinsatz. Resnais, der zuvor erst einen Spielfilm gedreht hat ("Hiroshima mon amour") und mit ihm den Durchbruch schaffte, emanzipierte sich jedoch von der Vorlage. Er heuerte Francis Seyrig, den Bruder der Hauptdarstellerin, für den Orgel-und-Geigen-Soundtrack an, der mehr Richtung Klassik geht, als von Robbe-Grillet geplant. Er castete die Akteure nicht nach dem Gusto des Autors. Und er entwarf seine eigene Stilisierung.

Genau die machte den Film wohl so legendär. Die Kamera gleitet traumhaft durch die Gänge, Spiegel und Wände werden zu elementaren Stilvorlagen, Menschen werden zu Dekoration. In einer Szene sieht Delphine Seyrig aus, als ob sie beim Rückwärtsgehen gefilmt wurde und der Film danach retour laufen gelassen wurde (ein beliebter Lynch-Trick), ist aber nicht der Fall. Es treffen moderne Jump-Cuts auf klassische Stummfilm-Ästhetik. Und im vielleicht bekanntesten Bild des Films schauen wir auf den Schlosspark hinunter, in dem die Menschen (gemalte) Schatten werfen, nicht jedoch die Bäume. Ein weiteres Beispiel dafür, dass wir den Bildern genauso wenig trauen dürfen wie den Dialogen. Denn obwohl der Erzähler regelrechte Regieanweisungen gibt und die Szenerie immer nach seinen Erinnerungen ordnet, so schafft er es doch nicht immer, das Gesagte und das Gezeigte in Einklang zu bringen. Einer von vielen Anzeichen dafür, dass er lügt?

"L'année dernière à Marienbad" ist wohl ebenso wenig lebendig wie seine Protagonisten, die zur bildschönen Chanel-Modepuppe reduzierten Delphine Seyrig und den noblen Italiener Giorgio Albertazzi (beide vorzüglich besetzt, übrigens). Es handelt sich vielmehr um eine hochstrukturierte Stilübung, traumhaft in Szene gesetzt und fragmentarisch erzählt, wobei Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ebenso ineinanderfliessen wie Realität und Einbildung. Weil er cineastisch so viel hergibt und mit seinem Interpretationszwang nicht frustriert, sondern stimuliert, ist der Film ähnlichen Mindfuck-Kunstfilmen wie etwa Michelangelo Antnionis "L'avventura" überlegen. Aber es ist auch leicht zu sehen, wieso er bei seinem Release von Begeisterungsstürmen bis Ablehnung das gesamte Kritikenspektrum abgraste. Er ist ein Biest, das sich nicht zähmen lässt. Und so faszinierend es ist, so prätentiös kann es manchmal mit Selbstverliebtheit durchgehen. Es kann sich zum aufgeblasenen Nichts verrennen.

Wenn man sich jedoch von der hypnotischen Kraft der Bilder einnehmen lässt, dann kriegt man hier ebenso experimentierfreudiges wie kunstvolles Kino geboten. Sozusagen ein Horrorfilm im Kopf und in der Psyche, voller Rococo-Zombies und Angst vor dem Morgen. Schlauer ist man danach nicht, auch weil Resnais sich im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen nicht mittlerweile veralteten Polit-Kommentaren hingibt. Wo spielt der Film? Wann spielt er? Ist M der Ehemann? Haben sich unsere Helden wirklich getroffen? Wo? Und schon ist man wieder bei den Fragezeichen, die das ganze Werk am Leben erhalten. Und die einen auch nach Ende noch lange beschäftigen können. Von manchem Godard-Film, der ein ähnliches Mysterium aufbauen will und gegen das hier nicht viel mehr als ein Pop-Art-Quickie ist, kann ich das nicht behaupten.

 

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EXTERNE REVIEWS 
imdb.com

oliblog (8/10)

 

SCREENSHOTS

Screenshots der DVD mit PowerDVD 9, verkleinert und leicht geschärft mit CorelPaint


 

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