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Tragikomödie. CH 2006
Alternative Titel
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Regie Fredi M. Murer
Drehbuch Fredi M. Murer, Peter Luisi, Lukas B. Suter
Produktion Fredi M. Murer, Christian Davi, Christof Neracher
Musik Mario Beretta
Kamera Pio Cooradi
Darsteller Teo Gheorghiu, Fabrizio Borsani, Urs Jucker, Julia Jenkins,
Bruno Ganz, Eleni Haupt
Länge 120 Min.
CH-Kinostart 2.2.2006
Humor | Spannung | Action | Gefühl | Anspruch | Erotik |
. |
© Text Marco,
molodezhnaja 20.12.05
© Bilder Frenetic Records,
Screenshots molodezhnaja
STORY
Der sechsjährige Vitus (Fabrizio Borsani) spielt bereits fabelhaft Klavier.
Seine Eltern (Julia Jenkins, Urs Jucker) erkennen das Potential des Kleinen und
fördern ihn. Doch das Wunderkind ist einsam, kann keine richtige Schule besuchen
und hat keine Freunde. Sechs Jahre später hat sich wenig geändert: Vitus (Teo
Gheorghiu) besucht das Gymnasium und spielt nun meisterhaft Klavier. Seine
Mutter will ihn darum an eine Elite-Klavierlehrerin vermitteln, doch Vitus
bockt. Er will nicht mehr nur nach den Wünschen seiner Eltern leben und sucht
Zuflucht bei seinem Opa (Bruno Ganz), einem Schreiner.
REVIEW
Fredi M. Murer ist einer der wichtigsten
Schweizer Filmemacher. Sein "Höhenfeuer" war ein meisterhaftes Alpendrama um
Inzest - ebenso mutig wie kraftvoll. Der Absturz kam 1998 mit dem unsäglichen
"Vollmond", einem überladenen Mystery-Trash zum "Zustand der Schweiz". Abermals
setzte Murer Kinder ein, doch diesmal fiel er damit komplett auf die Nase. Der
prätentiöse Film gehört zu den schwächsten eidgenössischen Kinoproduktionen
überhaupt und seine gewonnenen Auszeichnungen waren ein Hohn.
Umso gespannter war ich auf "Vitus" - die Vorzeichen standen nicht gerade rosig, immerhin nahm sich Murer erneut einer Geschichte um ein Kind an und das Thema Wunderkind hat das Potenzial, ähnlich überladen zu werden wie "Vollmond". Das ist jedoch nicht passiert: Murer erzählt eine relativ einfache und Gott sei Dank geradlinige Geschichte, die nicht eine ganze Nation analysieren will, sondern "nur" ein Kind. Gänzlich geglückt ist die Mission dennoch nicht, was primär Murers Schuld ist.
An den Akteuren kann es nämlich nicht liegen. Die beiden Buben, die Vitus spielen, brauchen nur eine kurze Gewöhnungsphase, danach schliesst man sie ins Herz. Sie spielen mit einer angenehmen Mischung aus Schüchternheit, Künstlichkeit und Frühreife. Teo Gheorghiu ist auch im echten Leben ein Klaviergenie und dass er sein Instrument tatsächlich so virtuos beherrscht, wertet den Film deutlich auf. Vitus' Eltern sind ebenfalls souverän, doch die Show stielt, wie nicht anders zu erwarten, Bruno Ganz. Der zuletzt als Hitler international aufgefallene Star geht als sympathischer und bodenständiger Opa ans Herz, selbst wenn er allzu deutlich als moralische Stimme des Regisseurs dient. Ganz ist auch der, der am ehesten bereit ist, etwas zu improvisieren oder so zu reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist - was leider in Schweizer Filmen viel zu selten vorkommt. Meist reden die Akteure ein affektiertes Drehbuch-Mundart, das in keiner Ecke der Schweiz im Alltag jemals gebraucht würde.
Eine Szene, die wirkt, als seien die Schauspieler unbeobachtet, ist jene, in der Ganz und der kleine Fabrizio Borsani ein Fluggerät bauen. Wie ein richtiger Grossvater redet Ganz mit dem Kleinen. Einen ganz kurzen ähnlichen Moment gibt es auch, als Vitus einmal ausrastet und die Bücher vom Regal wirft. Dabei zögert er ganz kurz und man spürt richtig, wie er sich fragt, "habe ich jetzt zu heftig reagiert?" und dann wegrennt. Es ist ein kurzer Moment von impulsiver Spontaneität - etwas, was in "Vitus" sonst zu selten vorkommt.
Murer beharrt nämlich auf einer Inszenierung, welche sich wichtiger macht, als sie ist. Die erste Stunde, die eigentlich nur zeigen will, wie einsam Vitus ist, dauert ewig und neigt zur Selbstgefälligkeit. Als Vitus älter wird, wechselt die Problematik: Der Film ist nicht mehr so öde, ja, es kommt sogar reichlich Humor in die Sache - dafür fällt der Film komplett auseinander. Etliche Themen vermischen sich, kaum eines davon kommt zur Reife: Die Kritik an der New Economy bleibt verhalten, das Familiendrama ist voraussehbar, eine "Liebesgeschichte" mit dem Kindermädchen Isabelle führt nirgends hin und die Murer-typische Symbolik ist so didaktisch wie eh und je - der nach Freiheit strebende Vitus ist natürlich fasziniert ... vom Fliegen.
Da Murer immer gerne etwas dick aufträgt, Nebenhandlungen schlecht integriert und zum Schluss auch etliche Unglaubwürdigkeiten in Kauf nimmt, macht "Vitus" zu einem durchschnittlichen Filmvergnügen. Die Darsteller sind gut, das Thema interessant - doch es mangelt an inszenatorischer Raffinesse und inhaltlichem Zusammenhang. Ich würde mir nicht anmassen, einem gestandenen Regisseur zu sagen, er "sei auf dem richtigen Weg", doch nach "Vollmond" ist "Vitus" auf jeden Fall ein grosser Schritt vorwärts. Oder zurück zu alter Form. Mit einer strafferen Erzählweise und einer weniger heterogenen zweiten Filmhälfte käme "Vitus" durchaus in die vorderen Ränge jüngerer eidgenössischer Kinofime. So bleibt er eher im Mittelfeld.
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