Un long dimanche de fiançailles (2004)
Quick-Links: Cast & Crew - Review
US-Start: 26.11.2004
(limited)
CH-Start: 27.01.2005
16.12.04
"Amélie", zweiter Teil? Regisseur Jean-Pierre Jeunet und seine Entdeckung Audrey Tautou sind mit ihrem zuckersüssen Meisterwerk noch in bester Erinnerung, da liefern sie erneut ein visuelles Prunkstück ab. "Un long dimanche de fiançailles" ("A Very Long Engagement"). Neben Star und Regisseur gibt es denn auch erstaunliche Parallelen zu "Amélie": Die Suche einer Frau nach einem Mann Anhand von Hinweisen, kurze Rückblenden, die das Leben der Charaktere aufrollen, kleine Winkel und Kameraschwenks, die fast 1:1 aus "Amélie" übernommen sind. Doch die Parallelen enden schnell, denn "Dimanche" basiert auf dem Roman von Sébastien Japrisot, der kurz vor Fertigstellung des Drehbuchs verstorben ist. Der Autor verwob eine Liebesgeschichte mit einem kriminalistischen Plot und viel viel Kriegsgräuel. Letztere nehmen einen Grossteil des Films ein und Jeunet macht schnell klar, wer seine beiden Vorbilder sind: "Paths of Glory" und "All Quiet on the Western Front" - die beiden besten Filme über den Ersten Weltkrieg.
Ein paar Aufnahmen sind geradezu Hommagen an Kubricks Geniestreich "Paths of Glory", wenn die Kommandanten gefolgt von der Kamera durch die Gräben schreiten und die Soldaten an den Rändern zu ihm schauen. Selbst die Story zu Beginn, mit den Exekutionen der französischen Soldaten, ähnelt "Paths of Glory". Die Szenen auf dem Schlachtfeld holen Inspirationen bei beiden Klassikern und sind sehr düster, jedoch mit einem Touch Surrealität, wie wir es von Jeunet gewohnt sind. Ein totes Pferd hängt in einem Baum, Körperteil liegen herum. Wieso das? Weil unser männlicher Hauptdarsteller im Krieg ist. 1917 kämpft Manech (Gaspard Ulliel) an der Front gegen die Deutschen. Als neben ihm eine Granate einen Soldaten regelrecht zerfetzt, verliert er allen Mut und lässt sich vom Feind in die Hand schiessen. Mit vier anderen Soldaten wird er deshalb wegen Selbstverstümmelung zum Tode verurteilt: Die Armee kann keine Verletzten heimschicken, die sich selbst verstümmelt haben - die Exekutionen sollen also ein Exempel statuieren.
1920 spielt der andere Teil des Films. Manechs Verlobte Mathilde (Audrey Tautou), die seit ihrer Kinderlähmung humpelt und mit ihren Zieh-Eltern in der Bretagne haust, will nicht wahrhaben, dass ihr Schatz tot ist. Sie geht den Spuren der fünf Angeklagten nach, trifft auf Verwandte und Freunde, sammelt Hinweise und erkennt Intrigen. Damit wären wir beim kriminalistischen Plot angelangt, der mit den anderen beiden verwoben wird. Welcher funktioniert am besten? Der Krieg, würde ich sagen. Obwohl nicht so deftig wie z.B. "Saving Private Ryan" sind diese Szenen doch knallhart und doch eben stets surrealistisch. Zudem bringt Jeunet immer wieder eine Antikriegsbotschaft unter, kein Wunder eigentlich, bei einem Vorbild wie "Paths of Glory".
Die Lovestory funktioniert indes nicht so gut. Das Problem ist ein Ähnliches wie in "Cold Mountain": Die Liebe wurde gar nie etabliert und wir müssen das Verlangen der beiden einfach glauben - denn sehen tun wir es erst später in sporadischen, aber sehr süssen Rückblenden. Hier ist das Problem nicht so gross wie in "Cold Mountain", da die Liebenden auf stille Art flehen, Audreys grossse Augen alle Gefühle zeigt, die wir benötigen - und Audreys detektivisch-besessene Suche letztendlich eine Eigendynamik bekommt. Trotz seiner Überlänge von 134 Minuten ist "Un long dimanche de fiançailles" deshalb selten langweilig. Neue Twists, neue skurrile Figuren und immer wieder auftauchende Bilderfluten fesseln die Zuschauer an die Leinwand. Die Bilder von Bruno Delbonnel ("Amélie") sind in der Bretagne in Sepia getaucht und an der Front dominiert matschiges Grau-Braun. Ein eindrücklicher Look, der vor allem den Nordwesten Frankreichs in schönstem Licht präsentiert. Immer wieder gibts dazwischen auch Effekt-Shots, u.a. bei einer drastischen Lazaret-Szene mit einem Zeppelin.
Obwohl Audrey Tautou eindeutig der Star ist, ist ihre Präsenz nicht so umwerfend wie in "Amélie". Sie spielt zurückhaltender und wird zum Teil des Ganzen. Die anderen Darsteller fügen sich mit ihr in die Dramaturgie ein - der junge Gaspard Ulliel ist glaubwürdig und französisch attraktiv, Jeunet-Freund Dominique Pinon sieht mit Bart köstlich aus wie ein Bauer aus der Bretagne und "Délicatessen"-Star Jean-Claude Dreyfuss ist so dekadent wie immer. Eine Überraschung ist das Auftauchen von Jodie Foster, die inklusive gewagter Nacktszene eine zentrale Rolle einnimmt. Sie sprich sehr gutes Französisch und spielt makellos, doch der Auftritt eines solchen Stars reisst ein wenig aus dem Erzählfluss. Keine Ahnung, wieso Jeunet das gemacht hat, denn ansonsten besetzt er Charaktere immer nach deren Look, nicht nach deren Bekanntheit.
Trotz solcher kleineren Mängel ist "Un long dimanche de fiançailles" betörendes Kino. Bildstark inszeniert mit Ironie, Gewalt und Liebe, stark gespielt und lustvoll erzählt. Es wird langsam sichtbar, dass Jeunet auf stets gleiche Tricks zurückgreift, doch letztendlich macht das ja den Stil eines Regisseurs aus - und jener von Jeunet ist unverwechselbar. Es mag etwas hart klingen, wenn ich sage, "Un long dimanche de fiançailles" ist Jeunets zweitschwächster Film, doch wenn davor Meisterwerke wie "Amélie", "Délicatessen" und "Un cité des enfants perdu" stehen, ist das keineswegs böse gemeint. Im Gegenteil. Solches Kino aus Frankreich macht Spass. Ich seh tausend Mal lieber ein derartiges Epos als einen neuen (oder alten) Godard-Film. Dieser Running-Gag musste einfach rein.
page created:
16.12.04 ~ last updated 16.12.04
© text molodezhnaja / foto WB
optimiert für PC und Internet Explorer