Avalon
a film by mamoru oshii. reviewed 2002
½
"Ghost in the Shell" ist ein Meisterwerk und neben "Akira", "Princess Mononoke" und "Spirited Away" wohl der beliebteste und meistgelobte Anime-Film aus Japan. Sein Regisseur heisst Mamoru Oshii, ein Mann, der in Filmkreisen verehrt wird. Nun legt er mit "Avalon" sein erstes Realfilmprojekt vor. Ein Film, in Japan erdacht, in Polen gedreht. Die Akteure sprechen polnisch - eine ziemlich ungewöhnliche Kombination, aber Polens doch etwas triste Landschaft ist ideal für dieses apokalyptische Zukunftsszenario, in dem die Menschen sich in ein illegales Kriegsspiel namens "Avalon" flüchten. Ich möchte die Story nicht weiter ausführen. Es sollte reichen, wenn ich sage, "Avalon" ist ein Film um virtuelle Realität.
Oshii liess sich bei der Farbgebung von Lars von Triers "The Element of Crime" inspirieren - und es bezeichnend, dass ich "Element of Crime" nicht mag - ich mag "Avalon" nämlich auch nicht. Für mich ist der Streifen eine grosse Enttäuschung, die von vielen überschätzt wird. Beginnen wir aber erst mit dem Positiven: Die Bilder sind stark. Die Sepia-farbenen Landschaften sind grandios eingefangen, mit einem Touch Anime und grossartig integrierten Effekten. Auch die Musik von Kenji Kawai ist klassisch und gut. Aber da beginnen wir auch gleich mit dem Schlechteren: Die Songtexte sind lächerlich. Das Hauptlied "Avalon" kommt zweimal vor. Diese Oper handelt von Helden, die auf die Insel (Avalon) fahren, von Nebel und Fruchtgärten. Hallo? Ich musste bei diesem Artus-Sagen-Brei ständig nur kichern. In jedem westlichen Film wäre dieser Songtext verrissen worden. Und die anderen Dialoge im Film sind keine Spur besser. Konstantes Techno-Gebrabbel, pseudo-intellektuelle Worthülsen - dem Niveau von "Battlefield Earth" näher als dem von "Ghost in the Shell". Muss was mit Zen zu tun haben.
Es kommt noch besser: Es passiert nichts! Die ersten paar Minuten sind geil. Die Hauptdarstellerin Ash ist im Spiel, kämpft gegen Panzer und sonstige Gegner. Tolle Explosionen und wenn ein "Mensch" getroffen wird, dreht er sich wie eine zweidimensionale Figur und wird in alle Windrichtungen zerstreut. Ein echt genialer Effekt. Doch kaum aus dem Spiel raus tut Ash nichts mehr. Sie raucht, sie geht, sie fährt Tramm, sie geht, sie füttert den Hund, sie raucht. Na ja. Aber der Hammer kommt noch: Nun, da wir noch gar nichts über die Heldin wissen, bringt Oshii seine erste Rückblende. Rückblenden sollen wichtige oder emotionale Ereignisse hervorheben oder wieder ins Gedächtnis rufen. Oshii macht das nicht: Er lässt dieses Avalon-Lied laufen (das den ganzen Film vorwegnimmt und die stets wieder auftauchende Artus-Sage zum ersten Mal ins Spiel bringt - ohne wirklichen Nutzen) und zeigt alles nochmals: Ash geht, Ash aucht, Ash langweilt! Wie kann man das alles nochmals zeigen und erwarten, dass das den Zuschauer intellektuell stimulieren soll? Genau dies verstehe ich unter Style over Substance. "Avalon" hat keine Substanz - nur Stil. Und als ob das nicht genug wäre, gibt er noch vor, derart viel Substanz zu haben. Das ist es, was mich am meisten ärgert.
Wenn wir gerade so dabei sind: In einer Szene isst Stunner Toast mit Ei. Er isst ziemlich widerlich. Oshii zeigt das in einer Nahaufnahme. Recht lustig. Aber es kommt kein Schnitt. Wir sehen, wie Stunner das ganze verdammte Brot, die Wurst und das Ei frisst. Toll. Jeder Bud-Spencer-Film brachte "widerlich essen" interessanter auf die Leinwand. Aber es illustriert sehr gut das Problem einiger asiatischer Kunstfilme: Sie wissen nicht, wann sie schneiden sollten. Szenen ziehen sich unnötig in die Länge, andere sind so seltsam geschnitten, dass sie weniger Antworten geben, als Fragen aufwerfen. Viele Cinéasten glauben dann, sie sehen etwas Geniales, weil sie etwas Anderes sehen. Etwas, was nicht aus Hollywood kommt. Hollywood mag ja viel Scheisse produzieren, aber deswegen ist nicht alles, was nicht aus Hollywood kommt, automatisch gut. So haben die Leute im Filmmekka das Schneiden manchmal einfach besser im Griff. So doof ein Michael Bay auch ist, er weiss, wann er schneiden muss, um die Zuschauer bei der Stange zu halten - und während bei vielen Regisseuren lange Einstellungen recht cool sind, sollten andere Kunst-produzierende Asiaten vielleicht mal Cutter aus Hollywood anstellen. Zugegeben, im Falle von "Avalon" wären schnelle Schnitte auch nicht die Lösung, aber der aktuelle Schnitt ist jedenfalls alles andere als gut.
Zurück zu "Avalon": Ich wollte den Film lieben. Ich wollte die Vergleiche mit "eXistenZ" und "The Matrix" , die andere machten, auch machen - kann ich aber nicht. Die genannten Filme hatten eine Story, die Sinn macht. "Avalon" hat dies nicht. "Avalon" verschenkt seine geniale Optik für Techno-Gebrabbel und Pseudo-tiefsinnigen Blödsinn. "Avalon" lässt mehr Fragen offen als es Antworten gibt - und findet sich deswegen saumässig intelligent. "Avalon" mag anders sein, als das, was ihr gewohnt seit. "Avalon" mag einzigartig sein - aber "Avalon" ist nicht gut.
Hier noch eine andere eher negative Kritik: http://www.japanlink.de/mk/mk_film_avalon.shtml