Das Arthaus 1x1

 

Wie mache ich einen Film für Festivals und Feuilletons? Wie bekomme ich mein Filmplakat übersät mit Adjektiven wie mutig, einzigartig und ungewöhnlich? Ganz einfach: indem ihr folgende Regeln befolgt - dann ist das Machen eines preisgekrönten Festivalshits viel einfacher als das Abkurbeln eines B-Films in Hollywood!

 

#1
Charaktere wenig reden lassen. Im Idealfall machen die Helden ihren Mund gar nie auf. Wortlose Kommunikation ist stets tiefsinniger als solche mit Worten. Und mysteriöser.

#2
Kamera still halten. Wackel-Kameras sind zwar trendy für Jungfilmer, aber um wirklich durchzudringen sind lange, statische und leicht unkonventionell geframete Shots das Beste. Also auf keinen Fall Kamerafahrten à la Michael Bay verwenden. Big no no!

#3
Harte Schnitte. Ihr habt ein Filmprogramm, welches weiche Schnitte zulässt? Fade-outs und Übergänge? Lasst das links liegen. Wer einen Film ausschliesslich mit einfachen Cuts schneidet, bekommt Bonus - besonders kombiniert mit der statischen Kamera.

 #4
Schaff eine zentrale mysteriöse Frauenrollen. Wenn ein männlicher Regisseur das weibliche Geschlecht als etwas Unerklärliches und Unberechenbares darstellt, ist die Wirkung doppelt so gross. Besonders gut ist eine Szene, in der die Frau während des Sexes einen Meinungsumschung hat. Z.B. Während des Blowjobs weinen - das gibt gleich einen Superlativ mehr.

#5
Viel Sex. Vor allem roh, plötzlich und fremdartig - aber es muss Sex rein. Du kannst zum Beispiel etwas vermeintlich Unanständiges bringen (Analsex oder Cumshots in einem Kunstfilm sagen aus: Ich gehe weiter als du!). Oder langen Sex - kombiniert mit der statischen Kamera einfach eine Wucht.

#6
Keine Musik. Musik ist was für Hollywood'sche Weicheier. Wenn schon Musik, dann in plötzlichen oder knalligen Dosen - vielleicht als spontane Musical-Ausbrüche.

#7
Es geht nichts über ein offenes Ende. Noch besser: eines das keinen Sinn macht. Danach zerbricht sich die Kritikergarde den Kopf darüber - und wenn sie ihren Kopf anstrengen, ist es automatisch gut.

#8
Liberale Themen besetzen. Gut macht sich immer ein emanzipatorisches, pazifistisches oder homosexuelles Thema.

#9
Vergesst die Handlung. Da das Ende offen sein muss, darf man sich eh keine Gedanken über eine in sich geschlossene Geschichte machen. Also wieso überhaupt damit anfangen? Etwas Episodisches ist gut. Dann kann ein Kritiker das Wort fragmentarisch benutzen. Oder den Film in abgehobenem Zustand drehen. Dann bekommt man traumhaft oder hypnotisch zurück. Auch Adjektive wie improvisiert oder schräg sind ein Muss!

#10
Keine Liebe zeigen. Damit Frauen noch mysteriöser und der Sex noch heftiger wirkt, solltest du die Idee einer billig-bürgerlichen Beziehung lieber beerdigen. Menschen müssen entfremdet sein, Geschlechter sich nicht verstehen. Das birgt Tiefgang.

 

Wer diese zehn Regeln beherrscht, der wird in die Liga von Tsai Min-lian, Hong Sang-soo und Claire Denis aufsteigen und sich nie in Gesellschaft von inszenatorischen Blindgängern wie Tony Scott, Michael Bay oder Roland Emmerich wiederfinden. Ich drücke die Daumen!

 

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PS: Die Liste ist selbstverständlich ironisch gemeint - doch leider kamen mir in den letzten Jahren immer mehr Kunstfilme (primär aus Korea und dem restlichen Asien) unter, die sich so streng an diese zehn "Regeln" halten, dass ein Kommentar dazu nötig wurde. Würden diese einfach gestrickten Filme (und das sind sie, ebenso wie die gerne gescholtenen Hollywoodfilme) nicht von Kritikern so überschwänglich gerühmt, ein derartiger Beitrag wäre überflüssig. So muss auch mal jemand hin und wieder Gegensteuer geben.

 

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